Page 7 - Der Krampf
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Der „Krampf“ eine wahre Geschichte!

                   Bei dem Gespräch stellte sich heraus, dass es besser sei, vor den Kindern Un-
                   stimmigkeiten auszutragen. Nach Ansicht der Psychologin würden Kinder daraus
                   lernen. Die heile Welt vorleben sei nicht gut, denn die Kinder würden später bei
                   Konfliktbewältigungen Probleme haben. Da sich hier kein Zusammenhang zu Rein-

                   hards Krankenhausaufenthalt herstellen ließ konnte ich ehrlich gesagt mit diesen
                   Aussagen nicht viel anfangen. Ich fand es gut, dass es bei einer Sitzung blieb. Nach
                   einer Woche wurde Reinhard entlassen. Es wurde ein Kontrolltermin vereinbart.
                   Er bekam auch einige Medikamente mit nach Hause und musste diese regelmäßig
                   einnehmen. Reinhard war nun wieder zu Hause. Die Freude darüber war dem ent-
                   sprechend groß. Der Alltag wollte zwar noch nicht so richtig einkehren, aber das
                   war nur eine Frage der Zeit. Die Schule war kein Thema mehr, das Zeugnis hatten
                   wir abgeholt, die Noten waren sehr gut gewesen, In Deutsch und Mathematik ein
                   Zweier sonst lauter Einser. Seine Lehrerin sagte einmal bei einem Elternsprechtag

                   „Na die Sylvia ist er nicht“. Abgesehen davon, dass er die Sylvia nicht sein konnte,
                   verstand ich den Vergleich nicht . Die Gefahr, die immer von solchen Leuten aus-
                   geht liegt darin, dass ihre Beurteilungen den Charakter von Gutachten annehmen
                   kann. Ich hatte damals schon das Gefühl ich müsste mich vor dieser Lehrkraft,
                   und vor allem ihren Aussagen, in acht nehmen. Wie sich dann später herausstellte
                   war meine Meinung darüber nicht so falsch. Bei den Noten die er brachte gab es
                   noch keine Probleme, aber das könnte sich schnell ändern. Die Ferien begannen
                   und irgendwie kam er uns verändert vor. Er war sehr ruhig, fast bedrückt. Er war
                   auch langsamer und auch lustlos, noch nicht unser Reini, wie wir ihn kannten.
                   Lebhaft, aber nicht sehr laut, aufgeweckt aber nicht schlimm. Er war anders.

           Es ist mittlerweile bereits knapp 19 Uhr und der Aufzug bringt eine Nachtschwester.
           Sie lächelt freundlich und ich nicke zurück. Manches ist vertraulich geworden in
           den zehn Jahren, in denen ich zeitweise im AKH verweile. Man gehört irgendwie
           dazu. Viele Ärzte, Schwestern und das Pflegepersonal, überhaupt sämtliches Perso-
           nal wechseln irgendwann und es kommen neue Gesichter. Wir wechseln nicht, wir
           werden nur älter. Im Aufzug stehen noch zwei Personen, die ich nicht genau erken-

           ne. Einen Moment denke ich, es könnte Hr. Doc. Dr. B. sein, aber ich verwerfe den
           Gedanken sofort wieder. Es ist ausgemacht, dass Hr. Doc. Dr. B. mich zu gegebener
           Zeit vom Verlauf der Operation unterrichtet. Somit ist es unwahrscheinlich ihn im
           Aufzug gesehen zu haben. Ich denke wieder an Reinhard, wie es ihm jetzt gehen wür-
           de und irgendwie kommt in mir eine gewisse Ohnmacht auf. Dieses Gefühl habe ich
           manchmal dann, wenn ich in einer ungewöhnlichen Situation so überhaupt nichts
           machen kann. Mein Gefühl wird je durch das Klingelzeichen des Aufzuges unterbro-
           chen. Ich habe richtig gesehen, es war Hr. Doc. Dr. B. mit Dr. O. im Aufzug. Er hat
           mich beim Vorbeifahren ebenfalls gesehen und erinnerte sich an sein Versprechen
           mich über den Verlauf der Operation zu unterrichten. Seine Mitteilungen sind sehr
           positiv. Man konnte die Elektroden an den dafür vorgesehenen Stellen anbringen.






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